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Skihochtouren Camona da Medel ─ oder woanders

Text: An­ne Schmit­gen, Fo­tos: An­ne Schmit­gen, Mi­chi, San­dra Kres­ta

24.06.2018

So lautet die E-Mail, die uns unser Tourenleiter Norbert wenige Tage vor der geplanten Abfahrt nach Graubünden (zur Camona da Medel) schreibt. Das „woanders“ ist aus der Not geboren, konkret aus der enorm hohen Lawinengefahr, die den Hüttenzustieg zur Medelser Hütte (wie die Camona da Medel im Deutschen heißt) nahezu unmöglich macht. Sogar der Hüttenwirt rät uns dringend ab zu kommen.

Nach einem vermutlich langen (Umplanungs-) Abend von Norbert steht die Alternative fest: Zwei Kantone weiter westlich, im Berner Oberland hat er die Bächlitalhütte und die Gaulihütte als neues Ziel auserkoren.

Don­ners­tag, 5. April: Auf Re­gen folgt Son­nen­schein.

Sehr früher Start in Wolfratshausen, dementsprechend ist‘s in unserem riesigen Sektionsbus bald sehr ruhig. Das ändert sich nach der Ankunft in Handegg, Schweiz: Lauter Regen prasselt aufs Busdach. Regen! Ja, wir haben Skitouren geplant und ja, alles freiwillig ☺. Es braucht wenig Überredungskunst, um alle für die in Handegg startende Bergbahn bis zum ca. 300 Höhenmeter höher gelegenen Räterichsbodensee zu begeistern. Ab dort geht‘s dann ─ immerhin in Schnee statt Regen ─ mit Ski und eigener Kraft weiter. Und wie so oft folgt auf Regen Sonnenschein: Als wir an der Bächlitalhütte (2.328m) ankommen, werden wir mit persönlichem Handschlag der Hüttenwirtsleute empfangen und können bis zum Abendessen die Sonne auf der kleinen Hüttenterrasse genießen. Sie ist übrigens deswegen so klein, weil der größte Teil der Hütte von meterweise Schnee eingeschlossen ist. Der Wirt meint, er hätte in seiner Wirtszeit auf dieser Hütte noch nie so viel Schnee gesehen…

Frei­tag, 6. April: Klet­ter(steig)ein­la­ge.

Wie auf Skihochtouren üblich starten wir früh, mit schweren Rucksäcken. Bei Traumwetter geht’s zur Oberen Bächli-Licke (3.074m, Licke steht vermutlich für Lücke oder bayerisch Scharte). Dort erwarten uns vier Eisenleitern ─ sichtbar sind jedoch nur zwei, die unteren zwei sind unter Schnee versteckt. Es folgt eine spannende Kletter(steig)einlage ─ mit Skitourenschuhen und schweren Rucksäcken inkl. Ski auf dem Rücken etwas unkomfortabler als im Sommer… Aber alle von uns kommen super drüber, die vorbereiteten Selbstsicherungsschlingen werden nicht benötigt. Auf der anderen Seite der Licke gibt’s dann (endlich!) die erste Abfahrt, und die gleich in butterweichem Firn! Allerdings nur ein kurzes Vergnügen, denn nach nur ca. 200 Höhenmeter leichtem Firnwedelns fellen wir wieder an, das nächste Ziel schon im Blick: Die Hienderstock-Scharte, ca. 3.100m. Sonnig und schweißtreibend. Danach ist‘s nur noch ein kurzer Übergang, bis wir auf dem heutigen Tagesgipfel stehen, dem Hubelhorn (3.244m). Nach ausgiebiger Pause erneut Abfellen und auf zur wunderschönen Abfahrt zum Gaulisee. (In älteren Karten ist an seiner Stelle übrigens noch kein See, sondern die Ausläufer des gleichnamigen Gauligletschers…) Wieder angefellt über den zugefrorenen See, in sehr, sehr großer Hitze und (vor allem für die Motivation) sehr, sehr anstrengend ein letzter Gegenanstieg und dann sind wir endlich an der kleinen, gemütlichen Gaulihütte (2.205m) angekommen. Begrüßungstee, Schuhe ausziehen, hinsetzen. Die Welt ist schön.

Sams­tag, 7. April: : Dro­hen­der Hit­ze­tod im Schnee.

Heute starten wir mit leichterem Gepäck, da wir wieder zur Gaulihütte zurückkehren wollen. Zunächst geht‘s retour zum Gaulisee, den wir ja schon vorm Vortag kennen. Es folgt der laaaange und heiße Aufstieg zum Ankenbälli (so heißt der Berg wirklich ☺, 3.605m). Mir geht dabei nur Folgendes durch den Kopf: Hitzetod im Schnee. Einige von uns packen sich immer wieder Schnee unter die Mütze/die Cap und hätten sicher gern doppelt so viel Flüssigkeit zum Trinken dabei. Buchstäblich im Schweiße unseres Angesichts kommen alle tapfer oben an ─ die Gipfelpause mit Super-Panorama ist mehr als verdient. Anschließend Abfahrt wie Aufstieg, den Gegenanstieg zur Hütte natürlich mit eingeschlossen…

Sonn­tag, 8. April: Im Eil­schritt zum Le­ber­kas.

Als Norbert am Vorabend bei der Hüttenwirtin das Frühstück früher bestellen will, empfiehlt sie ihm nochmal eine Stunde früher. Denn das warme Wetter der vorigen Tage hat die Schneedecke so aufgeweicht, dass es bereits zu zahlreichen größeren Nassschneerutschen gekommen ist. Und am Sonntag soll es nicht weniger warm werden. Also beginnt der Tag um 5.30 Uhr mit einer Abfahrt mit Stirnlampen und schweren Rucksäcken auf (noch) hartem Schnee (da wird man wach…). Als wir wieder anfellen, müssen wir gleich über einen solche, richtig große Nassschneelawine vom Vortag. Die ist so früh morgens natürlich noch steinhart gefroren ─ kein angenehmes Aufstiegsgelände. Angesichts der drohenden Gefahren geht es von nun an im Eilschritt weiter. Wir sparen uns die geplante Alternativroute (die einen weiteren Aufstieg / Umweg bedeutete hätte) und fahren ab der Oberen Bächli-Lücke (bekannt vom ersten Tag) auf direktem Weg zurück zum Räterichsbodensee. Eindrucksvoll zeigt sich die Föhnwalze von Süden durch die Wolken, die sich über den Bergkamm wälzen. Und durch den starken Wind, der uns fast die Mützen vom Kopf bläst. Ab dem Stausee geht es auf der im Winter für den Verkehr gesperrten Grimselpass-Straße mit Ski bergab. Mit zwei Unterbrechungen: Wir passieren zwei Tunnel! Dafür müssen jeweils die Ski auf den Rucksack und die Stirnlampen angeschalten werden. Wenn das mal keine interessante Abfahrtsvariante ist… Bis wenige Meter vor dem Parkplatz können wir mit Ski fahren. Vor der Heimfahrt breiten wir uns alle auf dem Parkplatz aus, mehr oder weniger erschöpft, dankbar für die vielen tollen, anstrengenden, heißen, lustigen, sonnigen, eindrucksvollen Erlebnisse der letzten Tage. Und dankbar für die erste ausgedehnte Brotzeit an diesem Tag ☺. Als Entschädigung gibt’s dann noch auf der Heimfahrt den obligatorischen Stopp in Mädern, Österreich, bei Norberts Geheimtipp für Leberkassemmelfreunde.

Schee war’s! Danke Norbert für die gute, sichere Führung in anspruchsvollem Gelände bei anspruchsvollen Verhältnissen!

Gemeinsam unterwegs auf insgesamt 5.000 Höhenmetern im Aufstieg waren Norbert, Lille, Anschi, Zeno, Anne, Martin, Sandra, Michi.